Malerei mit Tiefgang
Zur Ausstellung bei fine arts 2219 (2007)
Wenn der Volksmund recht hat und in der Ruhe tatsächlich Kraft liegt, dann sind Martin Fausels Bilder wahre Energiepakete. Sie wirken wie Antipoden unserer Zeit. Alles Laute, Schrille, Schnelllebige und Oberflächliche ist mit wohltuender Konsequenz verbannt. Sich auf Fausels Bilder einzulassen ist folglich wie Pause machen, sich sammeln und neue Kraft schöpfen.
Darin liegt ihre ungeheure Stärke. Diese Stärke ist das Resultat der Energie, der Mühe und der Zeit, die der Künstler in die Entstehung der Bilder investiert. Fausel betreibt Kunst mit hohem Aufwand. Er verdünnt Acrylfarben und trägt sie Schicht um Schicht auf die Leinwand auf. Teilweise malt er so bis zu einem Jahr an seinen Bildern. Dabei entstehen Gemälde, die sich aus unzähligen, sich lasierend durchdringenden und überlagernden Ebenen zusammensetzen. Vordergründiges wird darin immer wieder überdeckt, und scheinbar Verborgenes drängt an die Oberfläche.
Das Prinzip der Schichtenmalerei wendet Fausel auch an, um räumlich anmutende Strukturen zu schaffen. Bisweilen wirken diese konturierten Linien und Flächen wie in die Leinwand geritzt oder mit feinem Werkzeug aufgespachtelt. Doch hier trügt der Schein – alles in Fausels Bildern ist reine Malerei, mit Geduld und wiederholter Präzison auf die Leinwand gebracht. Indem die Stadien der Bildentstehung derart sichtbar bleiben, wird die Zeit ebenso zum Gegenstand seiner Malerei wie Form und Farbe und das Verhältnis von Fläche und Raum.
Gänzlich unbeeindruckt vom aktuellen Trend zur bunten Figürlichkeit hat Martin Fausel so seine eigene Bildsprache gefunden. Man kann sie als abstrakt bezeichnen, doch wer beim Betrachten der Gemälde seine Phantasie spielen lässt, vermag durchaus Figuratives zu erkennen. So zeichnen sich immer wieder Strukturen ab, die menschlichen Schädeln oder Gesichtern ähneln. Und nicht nur Biologen und Mediziner fühlen sich an mikroskopische Aufnahmen organischer Präparate erinnert, in denen es von in denen es von Kleinstlebenwesen und Zellbestandteilen nur so wimmelt: Einzeller, Blutkörperchen, Bakterienfäden, Pilzsporen, Mitochondrien – all dies vermag das unvoreingenommene Auge zu entdecken. Manche Bilder wiederum erinnern an archäologische Ausgrabungsstätten, in denen die aufgemalten Ruinenstädte oder Tempelanlagen erscheinen. Wer noch tiefer in Fausels Bilderwelt eintaucht, entdeckt mühelos Parallelen zum architektonischen Gestaltungsprinzip fernöstlicher Zen-Gärten. Hier wie dort bedingt die asymmetrische Anordnung der Strukturen eine Vielfalt möglicher Perspektiven und Entdeckungen, einhergehend mit innerer Ruhe und meditativer Einkehr.
Auf seine ihm eigene Art erreicht Fausel so das große Ziel der amerikanischen Farbfeldmaler wie Rothko, Newman oder Reinhardt: Zwischen Bild und Betrachter entsteht eine äußerst intensive und stille Beziehung.
Stefan Schuler, Galerie fine arts 2219