Malerei

“Das Leben ist schnell, die Kunst ist langsam.”

 

Johann Heinrich Füssli

 

Anlässlich der Biennale Giardino d’arte 2013 der Villa Barberino Valdarno, Florenz (2013)

 

Solange ich Martin kenne - der erste Besuch in seinem Atelier liegt zehn Jahre zurück – habe ich immer gedacht, da sei so ein geheimes feines Band, welches seine Bilder mit den Wandfresken des Beato Angelico in dem Kloster San Marco verbindet. Ich weiß, dass Martin noch nie in Florenz war, dass er die Fresken also nie im Original gesehen hat, aber er wird sie aus Büchern kennen, und möglicherweise auch lieben.
Wenn Martin das möchte, würde ich ihn in diesen Tagen nach San Marco führen und ihm die Klosterzellen zeigen, der Reihe nach, eine nach der anderen, vor allem die berühmteste, die Klosterzelle Nummer drei. Heute ist die Zelle leer, sie ist Museum geworden, doch damals im Quattrocento, mit dem Klosterbruder als ihr Bewohner und ausgestattet mit dem spärlichen Mobiliar, Bett, Betstuhl und wenig mehr, wird sie nicht viel anders ausgesehen haben. Das Kernstück der Zelle war die Darstellung einer heiligen Szene, die der Verkündigung, auf den nackten Wandputz aufgetragen. Sie berichtet von der Begegnung Marias mit dem Engel, eine irdische Menschengestalt begegnet der Gestalt eines himmlischen, überirdischen Wesens. Die Szene ist berührend, doch ihre Umgebung, sprich der Ort des Geschehens, in seiner gemalten weißen Reinheit und Neutralität, in seiner Verweigerung, uns dingliche Anhaltspunkte zu liefern, versetzt uns in Staunen, und wir spielen mit dem Gedanken: Dies ist ein abstraktes Gemälde, eine geistige Überhöhung. Gegenstand von Kontemplation und Meditation, vielleicht auch von Rivelation. Das galt für die Mitbrüder des Malers damals (Beato Angelico war selbst Klosterbruder des Dominikanerklosters in Fiesole), wie auch für uns heute, vorausgesetzt, wir lassen uns auf sein Werk ein.
Nun erinnert Martin Fausels Werk und seine klar ausgerichtete und lineare Produktion von Bildern (Groß- Mittel- und Kleinformate) an den weißen, materiell-geistigen Bildraum des Beato Angelico, mit dem Unterschied, dass dieser bei Martin zum Protagonisten Nummer eins, zum Hauptdarsteller wird, mit all der Farbe und Farbdichte, die verwendet wird, und die die Leinwand zu einer Art Bild-Objekt macht. Und die Farbe in seiner ausgesprochenen Körperhaftigkeit - mal ockergelb, mal hell- mal dunkelblau, rot, aber auch elfenbeinfarben - Ergebnis eines langsamen Auf- und Übereinanderschichtens der Materie – beginnt sich dem Betrachter nach und nach zu entziehen, um in eine andere Dimension hinüberzugleiten, die des Immateriellen, Transzendentalen. Die Wahrnehmung des Bildes wird Kontemplation, Meditation. An dieser Stelle möchte ich den großen Daniel Barenboim zitieren, der sich reflektierend mit der „Umkehrung“ der Harmonie in der Musik (gleichbedeutend mit der Kunst im Allgemeinen) auseinandersetzt: „Die Musik hat für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Bedeutungen, sie kann sogar manchmal für ein und dieselbe Person in verschiedenen Augenblicken ihres Lebens etwas ganz anderes bedeuten. Sie kann poetisch, philosophisch, sinnlich oder mathematisch sein. Aber in jedwedem Fall hat sie, aus meiner Sicht gesehen, etwas mit der Seele des Menschen zu tun. Demnach ist sie metaphysisch, obgleich ihr Ausdrucksmittel rein physischer Natur ist.“ Ein erhellender Hinweis zur Chronik der beiden zeitlich so entfernten, doch, für mein Dafürhalten, geistig und konzeptionell sich so nahe stehenden Künstler: Fra’ Angelico - benannt nach seiner „engelgleichen“ Malkunst - (weltlich Guido di Piero) hat sein Leben lang nur für sich selbst gemalt, bzw. für seine Ordensgemeinschaft, in absoluter Freiheit und Unabhängigkeit von Päpsten, Königen oder sonstigen die Autonomie beschränkenden Auftraggebern. Auch Martin Fausel entscheidet für sich, autonom leben und arbeiten zu wollen. Er zieht mit seiner Familie in Süddeutschland aufs Land, in eine untypische Gegend, weit entfernt von jeglicher Art einflussreicher Kunst- und Kunstmarktzentren. Er gehört weder einer Gruppe noch einer Kunstbewegung an und bekennt sich noch viel weniger zu Ideen und Überzeugungen der gerade herrschenden zeitgenössischen Avangarde. Martin ist ein freier Geist, der ausschließlich sich selbst und seine Kunst repräsentiert. Aus einer biografischen Zufälligkeit heraus stellt er seit einigen Jahren mit größtem Erfolg in einem uns kulturell fernen Land aus, in Japan.

 

Rendel Simonti